«Wir wollen keine Killer»
Wer ist die geheimnisumwitterte Spezialeinheit mit dem Kürzel «AAD 10»,
die nach dem Willen des Bundesrats Jagd auf somalische Piraten machen soll? Die Weltwoche hat bei Architekten und Kennern der Elitetruppe nachgefragt.
In der Luft, zu Lande und bald auch zu Wasser? Schweizer Special Forces überzeugen im europäischen Ausland. Bild: Schweizer Armee
Von Urs Gehriger
Jetzt, da der Bundesrat das Plazet für einen Einsatz am Horn von Afrika gegeben hat, taucht das Akronym beinahe täglich in Medien auf: AAD 10. Doch viel ist über die Schweizer Elitetruppe mit dem sperrigen Namen Armee-Aufklärungsdetachement nicht bekannt. Die Identität der Mitglieder ist tabu, über Zusammensetzung, Ausrüstung und Taktik hüllt sich die Schweizer Armeeführung in Schweigen, zum Schutz ihrer Soldaten und ihrer Mission, wie es offiziell heisst. Selbst die Vorkämpferin für deren Einsatz am Horn von Afrika, Aussenministerin Calmy-Rey, hat der Spezialeinheit bis dato keinen Besuch abgestattet, und auch der neue VBS-Chef Maurer kennt sie erst vom Hörensagen.
Im Klima der Klandestinität gedeihen Gerüchte bekanntlich besonders gut. So haben Medien und Parlamentarier aus allen Parteien in den letzten Wochen einen Einsatz der AAD 10 gegen Piraten in Frage gestellt. Die Schweizer Special Forces seien nicht genügend vorbereitet für einen Einsatz auf fremden Gewässern, hiess es. Roland Borer, SVP-Nationalrat und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, redete die Fähigkeiten der Spezialeinheit gar auf das Niveau von tumben Stiefelknechten klein: «Nur um den Franzosen und Deutschen die Schuhe zu putzen», müsse die Schweiz keine Soldaten ins Ausland schicken.
Wer ist die Truppe? Warum wurde sie geschaffen? Was kann sie?
Gerüchte über Irak-Einsatz
Die Wurzeln des geheimnisumwitterten Eliteverbands reichen zurück auf das Jahr 1998. Angesichts neuer Bedrohungsbilder begann ein kleiner Kreis im VBS, eine Truppe für Sonderoperationen ins Auge zu fassen. «Die Lücken bezüglich Schutz schweizerischer Interessen im Ausland, insbesondere bei der Rettung und Rückführung von Schweizer Bürgern» hätten den Impuls zur Bildung einer Spezialeinheit gegeben, erklärt ein profunder Kenner der Einheit.
Beim Aufbau orientierte man sich an europäischen Spezialeinheiten. Vor allem bei den Franzosen und Schweden hat man sich inspirieren lassen. Nach mehrjähriger Konzeptphase begann 2005 schliesslich die Rekrutierung. Avisiert wurde eine Kompaniegrösse von 91 Mann, davon steht heute rund die Hälfte. Ihre Aufgaben: Rettung und Rückführung von Schweizer Bürgern aus Krisengebieten, Schutz von Personen sowie Einrichtungen bei erhöhter Gefährdung im Ausland. Beschaffung von wichtigen Nachrichten in Operationen zur Existenzsicherung – unter besonderen Umständen auch in Friedensmissionen.
Bisher beschränkte sich ihr Einsatz auf eine kurze Schutzaktion um die Schweizer Botschaft in Teheran. Gerüchte über einen Geheimeinsatz im Irak dementieren Verantwortliche der Einheit entschieden. Abgesehen von «verschiedenen Erkundungsmissionen in Zivil» habe man im Ausland keine Aktiveinsätze absolviert.
Strikte Diskretion ist die Grundvoraus- setzung für das Funktionieren von Spezialeinheiten. Dies führt bisweilen zu Mutmassungen, bei der AAD 10 handle es sich um eine kleine Geheimarmee, die ein Eigenleben führe. Langjährige Kenner der Truppe in verschiedenen Departementen halten dies für unbegründete Spekulationen. «Die Berufsformation ist zentraler Bestandteil des Grenadier-Kommandos 1», sagt ein EDA-Mitglied. «Ihre Bildung wurde 2004 vom Bundesrat beschlossen, Calmy-Rey war dafür, Blocher auch.» Über Einsätze bis zu drei Monaten Dauer entscheide die Landesregierung. Längerfristige Operationen müssten vom Parlament abgesegnet werden (siehe Kasten nebenan).
Facettenreiches Training
Die politische Debatte um die AAD 10 mutet bisweilen grotesk an. Von rechts und links beargwöhnt man die Profitruppe. Sie schaffe ein Präjudiz für Auslandeinsätze, höhle die Neutralität aus und solle am besten gar nicht eingesetzt werden. Andere orten die Schwäche just in der Tatsache, dass die Eliteeinheit im Konflikt bisher ungetestet ist. «Den Soldaten fehlt der Killerinstinkt», behauptet etwa der Zürcher Uni-Dozent Albert Stahel, nie verlegen, seine «Expertise» in ein ausgestrecktes Mikrofon zu diktieren.
Das Argument wird bei der Eliteeinheit nicht dementiert. «Wir wollen gar keine Killer», sagt ein Offizier aus dem Kreis der AAD-10-Verantwortlichen. Gefragt seien menschlich reife und rationale Soldaten, die sensible Operationen mit Fingerspitzengefühl und Professionalität ausführen können. Deshalb stelle man höchste Ansprüche an mentale Stärke und Disziplin. «Der Macho mit der Pumpgun im Kofferraum ist definitiv nicht, was wir brauchen», sagt ein anderer profunder Kenner der Einheit. Der physische Härtetest sei lediglich die erste Hürde beim Auswahlverfahren. Gesiebt würden die Aspiranten vor allem bei der psychischen Musterung durch ein speziell entwickeltes Verfahren des Fliegerärztlichen Instituts.
Gegen vierhundert Interessenten stellen sich jährlich dem Auswahlverfahren, sieben bis acht schaffen die Selektion, weniger als zwei Prozent. Das Durchschnittsalter der Truppe liegt bei über dreissig Jahren. Betrachtet man die berufliche Herkunft der Soldaten, gleicht sie einem Querschnitt durch die Bevölkerung. Sie reicht vom Schreiner über den Kaufmann bis zum Ingenieur ETH. Sogar ein Berufsmusiker findet sich in ihren Reihen. Daraus zu schliessen, die Schweizer Special Forces würden im Notfall vor Gewaltanwendung zurückschrecken, halten Kenner der Truppe für falsch. Sie verweisen auf ein facettenreiches Training, das den Vergleich mit ausländischen Elitetruppen nicht scheuen müsse.
Zwölf Monate dauert der Grundkurs zum Elitesoldat. Darauf folgen sechs Monate Spezialausbildung. Aspiranten üben den Fallschirmabsprung aus extremen Höhen mit Sauerstoffmaske, Nahkampf und Gefechtsschiessen. Scharfschützentraining gehört ebenso zur Ausbildung wie das Hantieren mit diversen Sprengstoffen. Verschiedenste Übermittlungsmethoden würden angeeignet. Gebrauch und Wartung von geländegängigen Fahrzeugen stünden weiter auf dem Kursprogramm, ebenso der Einsatz auf Sturmbooten. Das alles wird ergänzt durch ein Überlebenstraining in extremen Klimazonen, im Hochgebirge, in der Wüste, auf dem Meer oder in der Arktis.
Daneben legt man Wert auf vertiefte Kenntnisse von Sprachen, Kultur und Kommunikation. Jeder Soldat beherrscht zwei Landessprachen und verfügt über gute Englischkenntnisse. «Der ideale Elitesoldat ist nicht in erster Linie Kämpfer, sondern Soldat-Diplomat», heisst es seitens der Verantwortlichen der AAD 10. «Schiessen und Sprechen haben die gleiche Priorität.» So gehörten auch Kurse über aussereuropäische Kulturen und über Verhandlungstaktik zur Ausbildung, durchgeführt von der Politischen Abteilung IV des EDA.
Um den hohen Ansprüchen zu genügen, trainiert die Einheit regelmässig ausserhalb der Schweiz. Insgesamt achtmal habe die Truppe in den letzten Jahren an mehrwöchigen Übungen im europäischen Ausland teilgenommen, zusammen mit Elitetruppen aus Frankreich, Schweden, Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Finnland und Grossbritannien, wobei die Schweizer teilweise besser abgeschlossen hätten als kampferprobte Spezialeinheiten. Zum Beispiel bei der Übung «Cold Response», einem der anspruchsvollsten Manöver von Land-, Luft- und Seestreitkräften nördlich des Polarkreises bei minus zwanzig Grad Celsius.
Was das Training taugt, wird sich erst im Ernstfall weisen. Verantwortliche der EU-Mission Atalanta orten bei den Schweizer Special Forces jedenfalls weder fehlendes Know-how noch mangelnde Erfahrung auf See. Mutmassungen, im Ernstfall könnte die AAD 10 «eine Gefahr für die gesamte Operation darstellen» (Stahel), quittieren ausländische Kenner mit Kopfschütteln. «Die sind genau wie unsere», sagt General Puga, ehemaliger Kommandant der französischen Elitetruppe COS. «Ich würde keinen Moment zögern, mit den Schweizern auf Mission zu gehen.»